Yoga als Therapie
Die vedischen Wissenschaften im Gesamtkonzept
Morgens 05.30 Uhr, irgendwo in den U.S.A., nah der mexikanischen Grenzen: Eine kleine Gruppe mutiger Yogis steht zur täglichen Sadhana bereit – Zungenschaben, Nasenspülung, Augenwäsche inklusive. Was als intensives Selbstfindungsabenteuer beginnt, entwickelt sich zur Grundlage einer neuen Yogatherapie.
Das fehlende Bindeglied
Der Begriff „Yogatherapie“ ist weit verbreitet. Häufig fehlt es jedoch an klaren Definitionen. Wie der Yoga selbst, steht auch er für unterschiedliche Ansätze: Die Asana-betonte Iyengar-Therapie, sowie der sanfte, atembasierte Ansatz der Desikachars und der pragmatisch-bodenständige Ansatz des Svastha Yoga der Mohans, die beide auf dem Vinyasa Yoga nach Krishnamacharya gründen. Jeder Stil setzt unterschiedliche Schwerpunkte, hat seine Vorzüge und positiven Effekte. Doch wo ist die Einheit in der Vielfalt? Gibt es ein Gesamtkonzept, dass alles verbindet? Auf der Suche nach Antworten, entschloß ich mich zur „Seven Centers“ Yoga Therapie Ausbildung in den U.S.A. Durch die intensive, tägliche Sadhana mit Asana, Pranayama, Mantra, Shatkarmas (yogischen Reinigungsübungen), Dinacharya (tägliche Routine), Selbstölmassage und einen individuell ausgearbeiteten Ernährungsplan fand ich das fehlende Bindeglied. Ich lernte die Verknüpfung von Yoga (nach Satyananda), Ayurveda und anderen vedischen Wissenschaften wie Jyotish, die vedische Astrologie, kennen.
Yogatherapie in der Praxis
Aus diesen Erfahrungen heraus entstand das Konzept für eine Yogatherapie, die auf dem Ayurveda basiert: In der ersten Sitzung gibt eine ausführliche Befragung, eine Zungen- und Pulsdiagnose Aufschluss über die Grund- und momentane Konstitution des Klienten. Das Ergebnis bildet die Grundlage der Yogapraxis sowie der Ernährungs- und Kräuterempfehlungen. Eine auf die individuellen Bedürfnisse abgestimmte tägliche Routine gibt den Ablauf nach dem Aufstehen und vor dem Schlafengehen vor. Die vedische Astrologie, Jyotish, liefert so etwas wie die karmische DNA, die Hinweise auf bestehende Krankheitsneigungen und -risiken liefert. Der persönliche Erfahrungsaustausch in weiteren Beratungsgespräche in den darauffolgenden Sitzungen erweitern das Programm.
Das Ziel bestimmt die Praxis
Zu Beginn der Therapie stehen das Erlernen von grundlegenden Atemtechniken und ein zwanzigminütiges Asanaprogramm, das auf die individuellen Bedürfnisse des Klienten abgestimmt ist. Denn die eine ultimative Yogasequenz gibt es genauso wenig wie die eine perfekte Ernährung. Yoga ist individuell. Schon im alten Indien gab der Lehrer dem Schüler sein Wissen stets nur persönlich und direkt weiter. Ähnlich ist es auch in der Yogatherapie. Der Zweck bestimmt die Mittel und die Praxis.
Form folgt Funktion
Hochglanz-Magazine, Yoga-DVDs und prominente Yogalehrer: Wie in vielen anderen Branchen, suggerieren die Medien häufig Ideale, die für viele Menschen weder erreichbar noch sinnvoll sind. Es ist die Individualität, die jeden von uns einzigartig macht. Die Einzigartigkeit jedes Körpers verlangt es, die Yogaübungen nach ihrer Wirkung und nicht nach ihrem Aussehen zu gestalten. Eine stimulierende Übung wie das Kamel kann für einen Menschen mit Kapha-Konstitution beispielsweise stimulierend und heilsam sein, für eine Vata-Person hingegen aufwühlend wirken.
Viele Wege führen nach Rom
Ob Medizin, Psychotherapie, Heilkunde oder Yoga – jede Disziplin wählt unterschiedliche Methoden zur Behandlung ihrer Klienten. Der entscheidende Vorteil der Verfahren im Yoga und Ayurveda sind die geringen Nebenwirkungen: In aller Regel haben sie einen sanft-harmonisierenden und nachhaltig-positiven oder eben gar keinen Effekt. Nur wenige Techniken und Mittel können auch negative Auswirkungen haben. In der Zusammenarbeit mit dem Klienten geht man dabei stets empirisch vor: Welche Methoden haben sich bewährt? Welche Verfahren führen nur zu einem geringen oder keinem Ergebnis?
Ziele der Yoga Therapie
Die Stärken der Yogatherapie sind zugleich ihre Schwächen. Die alltägliche Integration einer Yoga-Praxis stellt für viele Menschen eine große Herausforderung dar. „Keine Zeit“, heißt es dann. Oft mangelt es an Geduld und Disziplin. Kein Wunder: Gerade am Anfang ist es sehr schwer, bestehende Gewohnheiten und Verhaltensmuster zu durchbrechen. Eine medikamentöse Behandlung hingegen scheint einfach: Tablette rein, Symptome unterdrückt, Beschwerden gelindert. Aber wie lange? Viele Klienten haben etliche Arztbesuche und einen langen Krankheitsweg hinter sich, bis sie auf alternative, Behandlungsmethoden zurückgreifen. Um langfristige Linderung zu erzielen, bedarf es langfristiger Methoden, die die Mitarbeit vom Klienten fordern. Deshalb ist es umso wichtiger, klein anzufangen: eine zwanzigminütige Yogapraxis, auf dem Heimweg mental ein Mantra rezitieren, zwischendurch die Atemübung, die Tasse Milch mit Kardamon am Abend und eine angeleitete Entspannung vor dem Schlafen gehen. Es gibt viele einfache Methoden, um den Leidensdruck zu lindern und die Lebensqualität zu erhöhen
Achtsamkeit und Selbstverantwortung
„Yoga lehrt uns zu heilen, was nicht ertragen werden muss und zu ertragen, was nicht geheilt werden kann", ist ein vielzitierter Satz von BKS Iyengar in. Das Wissen, die Techniken und die Werkzeuge des Yoga und Ayurveda ermöglichen es dem Klienten, achtsamer und bewusster zu leben. Er lernt sich in vielen Situationen selbst zu helfen. Aus Ohnmacht und Hilflosigkeit werden Selbstbewusstsein und Eigenverantwortung.
Yogatherapie und Medizin
Naturheilkunde, Yoga und Entspannungstechniken nehmen immer mehr Einzug in das moderne Gesundheitssystem. Gerade bei chronischen Erkrankungen bewähren sich Yoga-Techniken zur Schmerzlinderung und Verbesserung des Allgemeinbefindens. Häufig ermöglicht eine regelmäßige Yogapraxis, die Reduktion oder gar das Absetzen von Medikamenten mit starken Nebenwirkungen. Viele Wissenschaftliche Studien belegen die positiven Wirkungen von Yoga und Ayurveda. Auch hier sind die eigenen Erfahrungen, die zuverlässigste Quelle. Ausprobieren lohnt sich.